Mitte 2022 habe mich für den renommiertesten Textdichter-Workshop Deutschlands beworben. Jedes Jahr werden aus circa 100 Songtextern, zehn zu einem zweiwöchigen Workshop eingeladen. Als ich mich entschied, meine Bewerbung einzureichen, dachte ich, dass ich bestimmt bis Ende des Jahres Zeit dafür hätte. Als ich dann die Unterlagen durchgelesen hatte, sah ich, dass ich für die Abgabe nur noch zwei Wochen Zeit hatte. 31.10.2022 – Datum des Poststempels. Zu meinen eigenen Texten, die ich einreichen musste, kam noch ein Text hinzu, den ich auf eine Na-Na-Na Melodie schreiben musste. Tendenziell bin ich kein schneller Texter. Und unter Druck wird das auch nicht unbedingt besser.

Eine Zugfahrt nach München stand an und ich dachte, dass ich die paar Stunden toll nutzen kann. Ich habe meine Rechnung aber nicht mit der männlichen Junggesellenabschiedsgruppe aus Hamburg gemacht, die das gleiche bayrische Ziel hatte und sich schon ein bisschen warmlief. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, stieg in Leipzig eine weibliche Gruppe Junggesellinnen mit Ziel München ein. Klar, dass die ganz schnell Freunde wurden. Ein paar Stunden später in München: Geschriebene Textzeilen für meinen Song = Null.

Um es kurz zu machen. Ich habe den Text in den darauffolgenden Tagen tatsächlich fertig bekommen. Die letzte Zeile schrieb ich am 30.10. abends. Noch rechtzeitig, einen Tag bevor die Frist ablief. Ich legte meine gesamten Unterlagen in einen DinA4 Umschlag, damit auch nichts zerknittert und ging frühmorgens damit zur Postfiliale. Cool, dachte ich. Das ist ein bisschen wie in den 80er Jahren, als wir mit unserer Schülerband die ersten Demos aufgenommen hatten und uns eine Kassette als Einschreiben an uns selbst schickten. Sollte jemand einen Song von uns klauen, wäre das Datum des Poststempels – so hieß es damals – ein Beweis in einem möglichen Rechtsstreit. Und das Einschreiben war viel günstiger, als eine notarielle Bescheinigung. Man musste nur sichergehen – und deshalb kümmerte man sich persönlich darum – dass das Datum vom Poststempel auch wirklich sehr gut zu lesen war!

In der Post war es voll. Eine halbe Stunde stand ich mit meinem Umschlag in der Schlange und für einen ganz kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich mir nicht einfach auch zu Hause eine Versandmarke hätte ausdrucken können. Aber da war ich auch schon an der Reihe und sagte zu der Dame:“Das hier bitte auf die Reise schicken“ und führte – aus voller Überzeugung – hinzu:“Und bitte achten Sie drauf, dass man das Datum vom Poststempel gut lesen kann. Ich brauche das als Beweis.“

Die Dame schaute mich verwirrt an und sagte:“Okaaaaay“. Was sich irgendwie wie „Freeeak“ anhörte. Der Poststempel war mal echte Handarbeit. Man sagte so Sachen wie:“Aber bitte vorsichtig mit dem Poststempel. Da ist was zerbrechliches drin.“ Aber so langsam wurde mir klar, dass es den guten alten Poststempel wohl nicht mehr gab. Die Blöße wollte ich mir nicht geben. Sie tippte auf ihrem Computer herum und klebte die Versandmarke, die der Drucker ausgespuckt hatte, auf meinen Umschlag. Dabei guckte sie mich die ganze Zeit an. Ich nickte kurz und sagte: „Vielen Dank. Das war mir sehr wichtig.“

Ein paar Tage später bekam ich eine E-Mail von dem Workshop, dass meine Unterlagen fristgerecht eingerecht wurden. „Alles richtig gemacht“, dachte ich. Leider habe ich den Zuschlag dann aber nicht bekommen. Aber gut, dass ich jetzt weiß, dass ich mir beim nächsten Mal meine Versandmarke auch selber ausdrucken kann.

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